Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) bedankt sich für die Möglichkeit zur Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung zum Familienentlastungsgesetz am 5. November 2018 im Finanzausschuss des Bundestages. Als Familienverband nimmt der VAMV im Folgenden zu den zentralen kindbezogenen Gesetzesänderungen Stellung.


Grundsätzlich begrüßt der VAMV, dass die Bundesregierung die staatliche Unterstützung für Familien mit Kindern verbessern möchte. Kritisch sieht der VAMV allerdings, dass die geplanten Verbesserungen nicht alle Familien erreichen werden, insbesondere Alleinerziehende werden wenig profitieren.

1. Bewertung
1.1 Kinderfreibeträge:
Steuerrechtliche Familienförderung wirkt kaum für Alleinerziehende

Die Erhöhung des Kinderfreibetrags greift dem 12. Existenzminimumbericht voraus, der auf Grundlage des sozialrechtlichen Existenzminimums das steuerliche sächliche Existenzminimum eines Kindes für die Jahre 2019 und 2020 fortschreiben wird. Dieses bildet in der Regel die Grundlage für die politische Bestimmung des Kinderfreibetrags. Nach Vereinbarung des Bundestages „folgt“ das Kindergeld dann der Entlastungswirkung der Kinderfreibeträge und nicht umgekehrt, wie es der Gesetzesentwurf vorsieht. Es handelt sich also um eine freie politische Setzung, die Bundesregierung begründet diese damit, dass sie „mit diesem Gesetz über das verfassungsrechtlich Notwendige hinausgehen und einen Beitrag zur finanziellen Stärkung der Familien leisten“(1 ) will. Kritisch sieht der VAMV, dass diese Stärkung nicht alle Familien gleichermaßen in der Wirkung erreichen wird.
Bei Einelternfamilien, die mehrheitlich kleine Erwerbseinkommen erwirtschaften (2) und vergleichsweise häufig Sozialleistungen beziehen, kommen Verbesserungen der steuerrechtlichen Familienförderung über Kinderfreibeträge kaum an. Steigende Kinderfreibeträge von jeweils 192 Euro per annum in 2019 und 2020 stellen lediglich die Alleinerziehenden besser, deren Einkommen so hoch ist, dass sie von den angekündigten Steuervorteilen profitieren können. (3)


(1) Gesetzentwurf der Bundesregierung: „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung und steuerlichen Entlastung der Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher           Regelungen (Familienentlastungsgesetz – FamEntlastG)“, Drs. 19/4723
(2) Statistisches Bundesamt (2017): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit 2016. Haushalte und Familien. Ergebnisse des Mikrozensus
(3) Ehepaare profitieren ab einem zu versteuernden Einkommen von ca. 60.000€ von den Kinderfreibeträgen, Alleinerziehende ab einem zu versteuernden Einkommen von ca. 30.000€. Quelle: https://www.vlh.de/wissen-service/steuer-abc/wie-funktioniert-das-mit-dem-Kinderfreibetrag.html


Die Erhöhung des Kinderfreibetrags verstärkt insgesamt die bereits bestehende soziale Schieflage im System der Familienförderung, das Besserverdienende über den Kin-derfreibetrag überproportional gegenüber denjenigen unterstützt, die lediglich das Kindergeld erhalten.
Der VAMV weist darauf hin, dass diese großzügige Erhöhung des Kinderfreibetrags zu Verwerfungen zwischen Steuerrecht und Unterhaltsrecht führen kann: Der in § 1612a BGB gesetzlich geregelte Mindestunterhalt für ein Kind ist an das steuerlich freizustellende sächliche Existenzminimum geknüpft. Die Bundesregierung scheint davon auszugehen, dass der Kinderfreibetrag über dem steuerlichen sächlichen Existenzminimum liegen wird. Das Hand in Hand mit dem Kinderfreibetrag gestiegene Kindergeld wird entsprechend des Halbteilungsgrundsatzes hälftig mit dem Kindesunterhalt verrechnet („Zahlbetrag“). Von 10 Euro Kindergelderhöhung kommen unterm Strich also nur 5 Euro mehr im Haushalt von Alleinerziehenden an. Steigt das Kindergeld, aber der Mindestunterhalt nicht in vergleichbarem Maße, könnte dies bedeuten, dass nicht einmal die Hälfte des Kindesgeldes Kindern in Einelternfamilien im Ergebnis zu Gute kommt. Die konkrete Wirkung des vorliegenden Gesetzesentwurfes lässt sich erst nach Veröffentlichung des 12. Existenzminimumbericht bewerten.

1.2 Kindergeld:
Schnittstellenprobleme zu Unterhaltsvorschuss und SGB II-Leistungen

Die staatliche Förderung über das Kindergeld erreicht bereits jetzt zahlreiche Alleinerziehende gar nicht, die auf Grund ausbleibender Kindesunterhaltszahlungen Unterhaltsvorschuss beziehen oder wegen Erwerbslosigkeit bzw. zu geringen Erwerbseinkommen auf Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen sind. Studien zufolge erhalten nur ein Viertel der Kinder von Alleinerziehenden den Unterhalt vom anderen Elternteil, der ihnen zusteht. Ein weiteres Viertel erhält Unterhaltsleistungen unterhalb des eigentlichen Anspruchs, etwa die Hälfte bekommt gar keinen Unterhalt (4). Die Mehrheit der Einelternfamilien ist damit auf den staatlichen Unterhaltsvorschuss angewiesen, auf den das Kindergeld voll angerechnet wird: Ein um 10 Euro höheres Kindergeld senkt wiederum den Unterhaltsvorschuss um die gleiche Summe. In vergleichbarer Weise wird das Kindergeld im Grundsicherungsbezug angerechnet, so dass der Leistungsanspruch nach dem SGB II/XII für die betroffenen Familien analog zu der geplanten Kindergelderhöhung sinken wird. Unter den Einelternfamilien mit minderjährigen Kindern waren im Jahr 2015 bundesweit 38,1 Prozent auf SGB II-Leistungen angewiesen (5). Die geplanten Maßnahmen des Familienentlastungsgesetzes werden keine Wirkung im Kampf gegen Kinderarmut entfalten. Die Bundesregierung geht davon aus, dass gerade einmal 2.100 Familien den SGB II-Bezug verlassen werden. An den armutsbetroffenen Einelternfamilien gehen die Änderungen so gut wie vollständig vorbei, obwohl die Koalitionsparteien zeitgleich die Bekämpfung von Kinderarmut auf ihre Agenda gesetzt haben.


(4) Hartmann, Bastian (2014): Unterhaltsansprüche und Wirklichkeit. Wie groß ist das Problem nicht gezahlten Kindesunterhalts? SOEPpapers Nr. 660/ 2014
(5) Bundesagentur für Arbeit (2015): Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende in Deutschland 2015


2. Weitere gesetzliche Änderungsbedarfe

2.1 Armutsbekämpfung insbesondere in Einelternfamilien

Die Hälfte der von Armut betroffenen Kinder lebt bei Alleinerziehenden (6). Der VAMV fordert, das angekündigte Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut prioritär und zügig umzusetzen und mit ausreichend finanziellen Mitteln zu unterlegen. Damit Einelternfamilien von der in diesem Zuge geplanten Reform des Kinderzuschlags profitieren können, muss dieser so ausgestaltet werden, dass für Alleinerziehende die bestehenden Schnittstellenprobleme zum Unterhaltsvorschuss behoben werden: Es braucht dafür eine Gesetzesänderung, so dass Unterhaltsvorschuss bzw. Unterhalt nicht mehr auf den Kinderzuschlag angerechnet wird. Der Ausbau des Unterhaltsvorschuss im vergangenen Jahr hat das Problem ausgeweitet, dass Alleinerziehende gegenüber dem Bezug von Wohngeld und Kinderzuschlag durch die Anrechnung des Unterhaltsvorschuss auf beide Leistungen Transferentzugsraten von 100 Prozent (beim Kinderzuschlag) und zusätzlich 30 bis 60 Prozent (beim Wohngeld) in Kauf nehmen müssen. Insbesondere für Einelternfamilien mit kleinen Einkommen, die vor dem Ausbau des Unterhaltsvorschuss Kinderzuschlag und Wohngeld bezogen haben, ergaben sich so teils drastische Verschlechterungen (7). Diese müssen durch eine bessere Abstimmung von Unterhaltsvorschuss/Unterhalt, Kinderzuschlag und Wohngeld zurückgenommen werden. Ein wichtiger Baustein dafür ist eine Transferentzugsrate von 0 Prozent beim Kinderzuschlag. Es darf nicht bei dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Prüfauftrag bleiben. Der Ausbau des Unterhaltsvorschuss muss auch für Alleinerziehende mit kleinen Einkommen unter dem Strich eine Verbesserung bedeuten.


(6) Asmus, Antje/ Pabst, Franziska (2017): Armut Alleinerziehender, in: Paritätischer Gesamtverband: Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2017
(7) Sven, Stöwhase (2018): Alleinerziehende: Weniger Einkommen wegen des Unterhaltsvorschusses. Wann durch die Anrechnung des Vorschusses auf andere Sozialleistungen das Gesamteinkommen sinkt, in: Soziale Sicherheit Nr. 5/ 2018 sowie Preidel, Julia (2018): Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes: Was haben Alleinerziehende (bisher) davon?, in: Informationen für Einelternfamilien Nr. 1/2018


2.2 Reform des § 24 b EStG

Einelternfamilien sind steuerrechtlich gegenüber verheirateten Paarfamilien systematisch benachteiligt: Der Entlastungsbetrag in der Steuerklasse II ist mit 1.908 Euro im Jahr zu niedrig, um Einelternfamilien in vergleichbarer Weise wie Ehepaare zu entlasten. Dies war jedoch die Intention des Gesetzgebers, als er 1958 gleichzeitig mit dem Ehegattensplitting einen Sonderfreibetrag für Alleinerziehende eingeführt hat. Denn Alleinerziehende sind regelmäßig zu erhöhten Aufwendungen für Wohnung und Haushalt gezwungen, da sie keine Synergieeffekte einer gemeinsamen Haushaltsführung, sondern im Gegenteil eine Mehrbelastung zu verzeichnen haben. Um eine mit dem Ehegattensplitting vergleichbare steuerrechtliche Förderung für Einelternfamilien zu erreichen, fordert der VAMV im bestehenden System den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende auf die Höhe des Grundfreibetrags anzuheben. Außerdem ist dieser zu dynamisieren, um auch hier steigende Lebenshaltungskosten abzubilden.

3. Fazit: Umsteuern im System der Familienförderung!

Der VAMV bedauert, dass der vorliegende Gesetzesentwurf lediglich das bestehende System des Familienleistungsausgleichs inklusive seiner sozialen Unwucht fortschreibt, statt den skizzierten grundsätzlichen Reformbedarf anzugehen. Eine methodisch saubere und transparente Ermittlung des sozialrechtlichen Regelsatzes wäre ein erster Schritt zu einem tatsächlich bedarfsgerechten Existenzminimum, das sich im Steuer- und Unterhaltsrecht fortsetzen würde. Insbesondere eine Erhöhung der Kinderfreibeträge verstärkt hingegen die überproportionale Entlastung von Familien mit hohen Einkommen. Die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro gleicht laut Gesetzesentwurf zwar diese höhere Entlastung für 2019/2020 aus, löst aber keineswegs das grundsätzliche Problem: Kinder in Familien mit hohen Einkommen profitieren weiter von Steuerentlastungen von bis zu knapp 300 Euro pro Monat, Kinder in Familien mit mittleren und kleinen Einkommen erhalten das Kindergeld in Höhe von 204 Euro, bei Kindern in Familien mit niedrigen oder ohne Einkommen kommt gar keine zusätzliche Förderung an, wenn ihre Familie auf SGB II angewiesen ist.

Der VAMV weist darauf hin, dass sogar eine Erhöhung des Kindergeldes auf die Höhe der maximalen Entlastungswirkung der Kinderfreibeträge für Einelternfamilien keine Lösung darstellen würde, wenn die schlecht abgestimmten Wechselwirkungen zwischen Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht bestehen bleiben. Alleinerziehende fallen hier systematisch durchs Raster.

Auf Grund dieser erheblichen Schnittstellenprobleme zwischen unterschiedlichen für Alleinerziehende relevanten Sozial- und Familienleistungen fordert der VAMV ein familien- und steuerpolitisches Umsteuern hin zu einer Kindergrundsicherung bei gleichzeitiger Individualbesteuerung von Eltern in allen Familien. Unabhängig von der Familienform und vom Einkommen ihrer Eltern sollten alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung von derzeit 619 Euro pro Monat gleichermaßen gefördert werden.

 

Berlin, 31.10.2018
Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V.
Miriam Hoheisel
www.vamv.de