45 VAMV Landesverband Bayern

45 Jahre für Alleinerziehende

Wir freuen uns!

2021 feiert der VAMV Landesverband Bayern sein 45. Gründungsjahr. Größere Feierlichkeiten sind zwar aufgrund der Coronapandemie nicht möglich gewesen, trotzdem möchten wir es uns nicht nehmen lassen und einen Blick zurückwerfen – auf die Gründung unseres Verbandes und die Erfolge der unermüdlichen Arbeit unserer ehrenamtlich engagierten Alleinerziehenden.

„Schließen wir uns zusammen!“
Die Geschichte des VAMV LV Bayern kann nicht erzählt werden ohne die Geschichte von Luise Schöffel. Die ledige Mutter und Lehrerin aus Baden-Württemberg schaltete 1967 folgenden Aufruf in der Zeitung: „Ledige Mütter, schließen wir uns in einem Verband zusammen, Zuschriften unter Chiffre…“. Schöffel war empört über diese Ungerechtigkeit und die Doppelmoral der Nachkriegsgesellschaft. Während ein nicht eheliches Kind für Männer ein Kavaliersdelikt war, galten ledige Frauen, die ein Kind zur Welt brachten als unanständig. Die Mütter hatten kein Recht auf Sozialhilfe und bei der Geburt übernahm automatisch das Jugendamt die Vormundschaft für das Kind. Die Mutter musste die Vormundschaft für das eigene Kind extra beantragen und alle zwei Jahre Rechenschaft ablegen. Auch die Kinder waren benachteiligt. So hatten sie keinen Unterhaltsanspruch und kein Erbrecht gegenüber dem Vater.

Eine Unverschämtheit ohnegleichen
Viele ledige Mütter versteckten sich vor Scham vor der Gesellschaft, bis Luise Schöffel sie wachrüttelte. Auf ihre Anzeige hin bekam sie etwa 150 Zuschriften mit teils erschütterten Lebensberichten. Die ledigen Mütter schilderten verzweifelt ihre materielle Not, Schwierigkeiten mit den Unterhaltszahlungen und Schikanen der Jugendämter. So wurden vielen ledigen Müttern die Kinder, insbesondere Säuglinge, weg genommen und in Heime gesteckt. Die Mütter mussten für diese Zwangsunterbringung zahlen. Teilweise erhielten sie kein Besuchsrecht, wenn die Kinder bei Pflegeeltern untergebracht waren oder das Amt gab ohne Zustimmung der Mutter die Einwilligung zur Adoption.

Zusammen mit sechs weiteren ledigen Müttern gründete Schöffel so den „Verband lediger Mütter“ – mit dem Ziel, die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung lediger Mütter und ihrer Kinder abzuschaffen. Natürlich kam diese Idee damals (wie heute) nicht bei allen gut an. So erhielt Schöffel auf ihre Zeitungsannonce hin unter anderem folgenden Brief: „Es ist eine Schande, dass Sie als Lehrerin ein uneheliches Kind haben und eine Unverschämtheit ohnegleichen, auch noch einen Verband solcher sittenloser Weiber zu gründen.“ Doch das Vorhaben hatte Erfolg. 1970 schlossen sich geschiedene Mütter den ledigen Müttern an und schließlich kamen 1976 auch noch geschiedene Väter dazu. So nannte sich der Verband in „Verband alleinstehender Mütter und Väter“ um.

Erfolgreicher Einfluss
Auch politisch gelang es dem neu gegründeten Verband rasch Verbesserungen zu erreichen. Um Änderungen in der der Sozialgesetzgebung für Alleinerziehende zu durchzusetzen, appellierten Schöffel und ihre Mitstreiterinnen an den Europarat. Dieser sendete bereits 1968 eine Mahnung an die Bundesregierung, auch ledigen Müttern Sozialhilfe zu gewähren. Damals gab es in der Bundesrepublik 564.000 Einelternfamilien, sie hießen offiziell „Halbfamilien mit Kindern unter 18 Jahren“ und machten 7 Prozent aller Familien aus (heute 20 Prozent). Auch bei der Reform des Kindschaftsrechtes 1970 konnte der Verband wichtige Punkte durchsetzen. So wurden die Kinder lediger Mütter ab dann nicht mehr als „unehelich“ sondern als „nicht ehelich“ bezeichnet. Außerdem sind die Kinder auch juristisch seit dieser Reform mit dem Vater verwandt, haben somit ein Umgangs-, Unterhalts- und Erbrecht. Abgeschafft wurde auch die automatische Amtsvormundschaft für Kinder lediger Mütter. Die Mütter hatten damit (allerdings immer noch mit Einschränkungen) das alleinige Sorgerecht.

Hilfe zur Selbsthilfe
Nach und nach schlossen sich immer mehr Alleinerziehende Luise Schöffel an und gründeten eigene Landesverbände – in Bayern war das im Jahr 1976. Der Landesverband vertritt seitdem die Interessen der Alleinerziehenden in Bayern und leistet politische Lobby- sowie Öffentlichkeitsarbeit. Im Mittelpunkt des Verbands steht die Selbsthilfe und die Hilfe zur Selbsthilfe. Mit einer Vielzahl ehrenamtlicher Kontaktstellen in ganz Bayern werden Alleinerziehende vor Ort unterstützt – durch andere Alleinerziehende, die Probleme und Situation aus eigener Erfahrung kennen.

Unterhaltsvorschuss wird reformiert
Bald nach der Gründung des bayerischen Landesverbandes traten bundesweit weitere gesetzliche Neuerungen mit Verbesserungen für Alleinerziehende in Kraft. So gilt seitdem im Scheidungsrecht nicht mehr das „Schuldprinzip“, sondern das „Zerrüttungsprinzip“. Das Unterhalts- und Sorgerecht wurden damit unabhängig von der Frage, welcher der Ehepartner „Schuld“ an der Scheidung hätte. Außerdem wurde der Versorgungsausgleich nach der Scheidung eingeführt. So standen geschiedene Frauen, die eventuell nie berufstätig waren, nach der Ehe nicht mehr völlig mittellos da. 1980 wurde dann der Unterhaltsvorschuss eingerichtet, für alle Kinder, deren unterhaltspflichtigen Väter oder Mütter nicht zahlen konnten. Dieser wurde damals aber höchstens drei Jahre lang gezahlt und nur bis zum sechsten Lebensjahres des Kindes. Später wurde diese Regel erweitert: Seit 2017 wird der Unterhaltvorschuss durchgehend bis zum 18. Lebensjahr gezahlt.

Sich überflüssig machen
Bei der Gründung des VAMV hatte Luise Schöffel folgendes im Auge: „Ein erklärtes Ziel unserer Arbeit ist es, den Verband perspektivisch überflüssig zu machen.“ Doch dieses Vorhaben wurde leider bislang nicht erreicht. 1980 veröffentlichte der Verband sein erstes Grundsatzprogramm und viele dieser Forderungen stehen immer noch im neusten Grundsatzprogramm, das Anfang 2022 veröffentlicht wird. Zum Beispiel die Forderung nach flächendeckender, flexibler Kinderbetreuung, nach einer Kindergrundsicherung, nach gerechter Entlohnung von Frauen und nach einem gerechten Steuersystem, das nicht die Institution der Ehe fördert, sondern Familien – und zwar alle Familien, egal, ob verheiratetet, Alleinerziehend oder Patchworkfamilie. Trotz der vielen Steine, die der Umsetzung dieser Forderungen politisch immer wieder in den Weg gelegt werden, arbeiten die Mitglieder des VAMV unermüdlich und zum Großteil ehrenamtlich daran, die Situation für alleinerziehende Eltern und ihre Kinder in Deutschland weiter zu verbessern. Sie schmieden Bündnisse mit anderen Sozial- und Familienverbänden, mischen sich in die Bundes- und Landespolitik ein und bilden eine Lobby für Alleinerziehen. Wichtig ist weiterhin auch die Unterstützung und Vernetzung von Allein- erziehenden untereinander und die Stärkung der Anerkennung alleinerziehender Mütter und Väter in der Gesellschaft. Der VAMV Landesverband Bayern bedankt sich bei allen Ehrenamtlichen, die die Sache der Alleinerziehenden in den vergangenen 45 Jahren vorangebracht haben und freut sich über neue, zupackende Gesichter. (kö)