Damit die Lebenssituation und Teilhabe von Ein-Eltern-Familien verbessert wird, fordern bundesweit Alleinerziehenden-Verbände und -Vereine gemeinsam die verhandelnden Parteien auf, diese 8 Kernforderungen im Koalitionsvertrag zu berücksichtigen:

1. Armutssichere Kindergrundsicherung
Wir fordern eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung (KGS) , die
tatsächlich vor Kinderarmut schützt. Dafür sollte sich ihr Maximalbetrag an der Höhe
des soziokulturellen Existenzminimums orientieren. Zugleich ist dringend eine
realitätsgerechte Neuermittlung des Kinderexistenzminimums erforderlich. Die KGS
muss am Lebensmittelpunkt des Kindes ankommen. Sie sollte zudem nicht auf
SGB-Leistungen der Elternteile angerechnet werden. Der Unterhaltsvorschuss muss
als gesonderte Leistung für Ein-Eltern-Familien neben der KGS bestehen bleiben.

2. Finanzielle Entlastung, steuerliche Gleichstellung
Alleinerziehende werden im Vergleich zu Ehepaaren bei gleichem Einkommen
steuerlich stärker belastet. Daher ist mindestens eine steuerliche Gleichstellung von
Alleinerziehenden neben einer armutssicheren KGS dringend geboten, ergänzt um
einen Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag.

3. Kostenlose und qualitativ gute Kinderbetreuung
Alleinerziehende sind besonders auf eine verlässliche, flexible, qualitativ hochwertige
und kostenlose Kinderbetreuung in Kita und Schule angewiesen, die auch
Randzeiten sowie Schichtdienst abdeckt, um den Lebensunterhalt für sich und ihre
Familien erwirtschaften zu können. Trotz des geltenden Rechtsanspruchs in Kitas
gibt es immer noch Lücken in Deutschland, die geschlossen werden müssen. Auch
an Grundschulen muss der Rechtsanspruch zügig umgesetzt werden und flexibel
die tatsächlichen Bedarfszeiten abdecken.

4. Bezahlbares Wohnen
Angesichts hoher finanzieller Belastungen insbesondere von Alleinerziehenden durch
hohe Mieten und stark gestiegener Energiekosten sollten als Soforthilfe die
tatsächlichen Wohnkosten im SGB II übernommen werden.
Die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt Alleinerziehende
besonders stark. Daher braucht es für sie eine Neuregelung im SGB II: eine längere
Übergangsfrist als aktuell 6 Monate für die Suche nach neuem Wohnraum, während
der die tatsächlichen Wohnkosten übernommen werden. Bei Neuvermietung
müssen Alleinerziehende bei der Vergabe von Sozialwohnungen besser zum Zuge
kommen, da sie auch auf diesem Wohnungsmarkt benachteiligt sind.
Innerhalb des anvisierten Wohnungsbauprogramms Bund sollten staatliche
Fördergelder für bezahlbaren Wohnraum auch gezielt Projekte und Konzepte
fördern, die auf die besonderen Bedarfe von unterschiedlichen Familienformen, vor
allem von Alleinerziehenden, zugeschnitten sind bzw. diese berücksichtigen und
integrieren.

5. Prävention von Altersarmut – Anerkennung von Carearbeit
Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen als Männer – der Gender Pension
Gap lag 2019 bei 46%. Die Ursachen liegen in einer Vielzahl von Frauen
benachteiligenden Faktoren begründet: verschiedenste Gender Gaps, Child
Penalties, geringere Karrierechancen für Frauen, Teilzeitfalle, die Unvereinbarkeit von
Vollberufstätigkeit mit Fürsorge-Verpflichtungen. Für Alleinerziehende wiegen diese
Faktoren noch einmal stärker.
Die für Fürsorgearbeit notwendige Zeit und Kraft muss zur Verfügung stehen, sie
fehlt folglich der Erwerbsarbeit durch Teilzeit, damit in den Rentenpunkten. Um
Altersarmut von Frauen, Müttern und Alleinerziehenden wirksam vorzubeugen, ist es
dringend geboten, die Anerkennung der unentgeltlichen, häuslichen Care-Leistung
in der gesetzlichen Rente auszubauen und das Rentenniveau insgesamt wieder
anzuheben.

6. Vielfalt von Umgangsmodellen erhalten
Jede Familie ist individuell und benötigt deshalb individuell passende Lösungen für
den Umgang. Einzelne Umgangsmodelle sollte die Politik Familien nicht vorgeben,
sondern zu den jeweiligen Familiensituationen passend ermöglichen. Eine
gesetzliche Vorgabe des Wechselmodells als Leitbild ist daher nicht geeignet.
Ebenso sollte die gerichtliche Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen des
Kindes oder eines Elternteiles nicht mehr möglich sein.

7. Umgangsrecht darf nicht über Gewaltschutz stehen
Gewalt ist stets eine Kindeswohlgefährdung, auch wenn Kinder diese „nur“
miterleben. Daher ist eine gesetzliche Regelung notwendig, die den Umgang mit
einem gewalttätigen Elternteil bei Partnerschafts-, Trennungs- und
Nachtrennungsgewalt – ggf. zeitlich befristet – ausschließt bzw. nur begleitet
ermöglicht, da dies sonst nicht dem Kindeswohl dient. Es ist gemäß Istanbul-
Konvention gesetzlich sicherzustellen, dass bei Umgangsregelungen die
Schutzrechte der gewaltbetroffenen Mutter* sowie des Kindes nicht durch die
Wahrnehmung des Umgangsrechts gefährdet werden. Ebenso ist sicherzustellen,
dass Umgang keine Retraumatisierung oder anderweitige Beeinträchtigung eines
Genesungsprozesses für Gewaltopfer darstellt.

8. Kein automatisiertes gemeinsames Sorgerecht ab Geburt
Bei der Reform des Sorge- und Umgangsrecht sollte weiterhin auf ein gesetzlich
normiertes gemeinsames Sorgerecht qua Geburt eines Kindes verzichtet werden.
Ein automatisiertes gemeinsames Sorgerecht ab Geburt verliert die Kinder von Eltern
aus dem Blick, die nicht gemeinsame Entscheidungen treffen können. Durch Heirat
oder gemeinsame Sorgeerklärung treffen bereits über 91 Prozent der Eltern im
Geburtsjahr des Kindes die Entscheidung, miteinander für gemeinsame Kinder
sorgen zu wollen. Bei den verbleibenden 9 Prozent sprechen mit hoher
Wahrscheinlichkeit gute Gründe dagegen, wie Gewalt, Sucht, eine hochstrittige
Trennung oder der Umstand, dass sich die Eltern kaum kennen. Für Mütter ist es in
diesen Fällen nicht zumutbar, in eine gemeinsame Sorge mit weitreichenden
Rechten des genetischen Vaters gezwungen zu werden. Dies dient nicht dem
Kindeswohl. Gemeinsame und alleinige elterliche Sorge müssen als gleichwertige
Sorgerechtsformen anerkannt bleiben.

* Der Begriff wird entsprechend der statistischen Verteilungshäufigkeit verwendet.

Unterzeichner:innen:
Heidi Thiemann, geschäftsführende Vorständin
Stiftung Alltagsheld:innen
Daniela Jaspers, Bundesvorsitzende
Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV)
Birgit Uhlworm, Bundesvorstandsvorsitzende
SHIA e.V.
Dr. Esther Konieczny, Vorstand
Fair für Kinder e.V.
Sybille Möller, Vorstandsvorsitzende
MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende e.V. i.G.

Das Papier mit den Kernforderungen steht hier zum Download bereit:  https://bit.ly/3mYI7Dv .